Nutztier Hund


Wie begann der Mensch Nutzen aus der Verbindung Mensch-Wolf zu ziehen?

Allgemein glaubt man, dass ein Mann diese erste Domestikation in der Geschichte der Menschheit vollzogen hat. Man hat gedacht, dieser Wolf hätte den Männern für ihre Jagd oder zur Verteidigung dienen müssen. Und deshalb habe ein Mann in weiser Voraussicht, natürlich kann das auch nur ein Mann, hat diese Domestikation durchgeführt. Aber es spricht vieles dafür, dass es nicht so sein hat können, weil zur Domestikation gehört auch, und das ist es, was einen Hund aus macht, eine enge soziale Beziehung, Schafe, Rinder, die haben nicht eine so enge soziale Beziehung zum Menschen, aber der Hund hat diese enge soziale Beziehung zum Menschen und die muss aufgebaut werden in sehr frühem Alter.

Wenn man Wölfe in sehr frühem Alter wegnimmt, dann kann man sie sozialisieren, da kann man sie auf den Menschen sozial prägen, man muss das aber sehr früh machen, in der Geschichte der Welpen, sie dürfen nicht älter als zwei Wochen alt sein. Und in diesem Alter sind sie voll und ganz noch von Milch abhängig und damals gab es ja noch keine anderen Haustiere, die Männer hatten, ihnen stand Milch nicht zur Verfügung. Also muss es eine Frau gewesen sein, denn sie war die einzige die im Besitz einer Milchquelle war und wenn sie so einen Welpen an die Brust gelegt hat, dann hat sie das bestimmt nicht in irgendeiner weisen Voraussicht, dass man diesen Wolf eines Tages nutzen kann, sondern sie hat es bestimmt aus rein emotionalen, jetzigen Gründen gemacht. Weil sie das Gefühl hatte, diesem Welpen zu helfen, zu schützen, zu versorgen.

Vor 15 tausend Jahren als diese Geschichte vermutlich stattgefunden hat, dass war eine Zeit, wo es sehr kalt war in Europa, vermutlich ist es auch irgendwo hier in Europa passiert, möglicherweise in Mitteleuropa, die ältesten Funde, die wir haben, die stammen eben aus Deutschland sogar, aus einem Doppelgrab bei Oberkassel, ein Mann, eine Frau und neben dieser Frau ein Hund begraben worden sind. Auch das spricht dafür, wenn es der Hund des Mannes gewesen wäre, dann hätte man diesen Hund neben den Mann gelegt, aber man hat diesen Hund neben der Frau hingelegt in diesem Grab. Also auch dass spricht dafür, das es eben eine Frau war.

Aber in dieser Zeit, vor 15 tausend Jahren etwa, war hier reine Tundra, hier wo wir jetzt sind lag paar hundert Meter Schnee, Eis, das war die Eiszeit. Und in dieser Zeit jagte man in der offenen Fläche, in der offenen Tundra und da nützt ein Hund..... ich weiß, ich bin selber Jäger und ich weiß, dass man mit einem Hund in der offenen Landschaft, wenn man nicht zu Pferd ist oder sehr schnell ist, überhaupt gar kein Nutzen hat. Dort hat man auf eine ganz andere Art und Weise gejagt, auf diese großen riesigen Renntierherden gewartet, die unterwegs waren. Man hat sich in Hinterhalt gelegt und sie aus nächster Nähe mit Sperrschleudern erlegt. Oder man hat an den Flüssen gewartet und wenn die Renntiere dann halbwegs über den Fluss gekommen ist, dann schnell mit dem Boot hingepaddelt und dann hat man sie einfach im Wasser mit einer Keule erschlagen.

Auf diese Weise konnte man sehr viel Beute und sehr viel Fleisch bekommen. Für viele Monate, vielleicht ein halbes Jahr, ein Jahr hat das dann gereicht. Für diesen Stamm und diese Menschen waren damals auch relativ gesund, sehr geschickt, phantastische Steinmetze, haben wunderschöne Waffen und Werkzeuge aus Stein hergestellt. Sie haben schöne Bilder in den Grotten und auf Schiefertafeln gemalt. Das war eine hochstehende Kultur. Und diese Kultur hat vermutlich auch Kapazitäten übrig gehabt, für andere Zwecke, für Luxus und diese Zähmung und diese Sozialisation der ersten Wölfe, die vermutlich lange Zeit, vielleicht tausende Jahren zuvor um die Camps herum gelebt haben und von den Resten dieser Jäger gelebt haben und auf einmal, hat man sie zu sich genommen, hat sie an die Brust gelegt und aus diesen ersten Welpen sind dann die ersten Hauswölfe geworden. Die erst einmal zu keinem Nutzen waren, aber erst langsam, wo die Bedingungen auch etwas schlechter worden, mussten sich diese ersten Hauswölfe auch bewähren, da mussten sich auch das Brot, das sie vom Menschen bekamen, bezahlen und das ist dann eine andere Geschichte.

Das ist dann die erste Nutzung des Hundes. Aber der Grund für die erste Sozialisation des Wolfes, also der Anfang, die Initialzündung zu dieser ersten Domestikation in der Geschichte der Menschheit, zu diesem ersten Haustier und zu einem völligen Wandel, zu einem Kulturwandel in der Geschichte der Menschheit, die ging, da bin ich voll und ganz davon überzeugt, von einer Frau aus. Und zwar ohne weiteren Hintergedanken, sondern nur im momentanen Zeitlichkeitsgefühl, diese Welpen sind mit ihren runden Köpfen und sie riechen so gut und sie sind wirklich sehr niedlich. Und irgendeine Frau hat ihn dann an die Brust gelegt.

Ist es möglich, dass ein gezähmter Wolf dem Menschen bei der Jagd geholfen haben könnte? Wenn ja, wie hat man Wolf unter Kontrolle gebracht, damit er die Beute nicht sofort auffraß?

Also, ich habe ja nun viele zahme Wölfe im Laufe meines Lebens gehabt und die Vorstellung allein, dass ich einem Wolf die Beute hätte abnehmen können, wenn er zum Beispiel ein Rehkitz oder einen Hasen erbeutet hat, ist einfach lächerlich. Das ist so unmöglich, die sind derart verteidigend und sehr futteregoistisch. Sie teilen nicht mit einem Menschen, sie würden ihrem Welpen was zubringen, das ist eine andere Geschichte, aber ich bin keine Welpe von ihnen. Ich bin vielleicht ein Mitglied des Rudels von ihnen und der bekommt nichts ab, wenn es nicht ein sehr großes Stück ist, was er erlegt. Aber ein kleines Stück.. Nein, ich glaube nicht, dass es die Jagd war, ich glaube nicht, dass es einen Nutzen hatte erst einmal. Wir gingen immer davon aus früher, dass es nützlich sein sollte. Natürlich in der Geschichte, hat man immer gedacht, immer waren es die Männer, die die Taten vollbrachten und immer war es zu irgendeinem weitreichenden Ziel. Aber ich glaube viel mehr an eine Zufälligkeit im Laufe der Geschichte.

Was unterscheidet den Jagdinstinkt des Wolfes von dem des Hundes?

Also, der Wolf ist jagdlich gesehen ein Alleskönner, er kann alles. Er ist der Vielkämpfer, der Zehnkämpfer unter den Caniden. Er kann Mäuse jagen, er kann Hasen jagen, er kann Rehe jagen, er kann Wildschweine jagen, er kann Schafe jagen, er kann Hirsche jagen, er kann Wisente jagen, Elche jagen, Bisons, alles kann er erlegen. Das ist im Tierreich einmalig, diese Vielfalt, diese enorme Spanne, diese enorme Beutespanne, die er zur Verfügung hat. Das ist das typische des Wolfes, der Nachteil dieser Jagdweise ist, dass er nicht spezialisiert ist. Er kann alles gut, aber er kann nichts perfekt. Unsere Hunde, unsere Jagdhunde, die können einiges perfekt, aber vieles überhaupt nicht mehr oder ganz wenig. Das sind die Spezialisten, das sind die 100-Meter-Läufer, die Stabhochspringer oder die Kugelstosser, wenn man das auf den sportlichen Bereich übertragen würde. Die können Vorstehen, wunderschön, sie können Stöbern, sie können Apportieren, sie können in den Fuchsbau rein und mit so kurzen Beinen dann dem Fuchs in diesem Bau nachstellen. Dafür sind sie Spezialisten, aber dieses ganze Spektrum der Jagdfähigkeit, der Jagdmöglichkeiten, die der Wolf hat, das hat kein Hund.

Wieweit steckt der Jagdtrieb der Wölfe noch heute im Hund? Handelt es sich noch um einen Urinstinkt?

Sie müssen mit so einem Begriff sehr vorsichtig sein, Urinstinkt...Der Wolf ist der Stammvater des Hundes, alle Hunde stammen vom Wolf ab und alle Hunde haben sehr viel vom Wolf behalten, es hat sich zwar einiges verändert in diesen 15 tausend Jahren, es sind kleine Hunde geworden, große Hunde geworden, dicke Hunde, dünne Hunde, u.s.w., kurzschnauzige, langschnauzige, langohrige, hängeohrige, schwarze, weisse, gelbe, grüne, was weiss ich..., Hunde geworden, mit langen Haaren, mit kurzen Haaren, mit Rollschwanz und mit hängendem Schwanz, all das ist im Laufe der 15 tausend Jahre passiert. Aber das sind Äußerlichkeiten, im Inneren ist der Hund weitgehend noch Wolf geblieben.

Das charakteristische für den Wolf ist seine Vielseitigkeit, seine Anpassungsfähigkeit, typisch für den Wolf auch seine hohe Sozialität, er muss zusammen mit anderen Wölfen leben, sonst geht er zu Grunde, sonst geht er auch emotional zu Grunde. Er ist territorial und er ist ein Jäger und was ist der Hund? Er ist ein Jäger, er ist territorial, Hunde bellen, wenn Leute in den Garten kommen und er ist außerordentlich sozial. Genauso wie der Wolf es auch ist, er ist anpassungsfähig, er ist sehr vielseitig. Also im Inneren, im Kern des Hundes steckt noch sehr stark der Wolf. Und das müssen wir auch im Umgang mit dem Hund zur Kenntnis nehmen, wir gehen mit dem Hund so um, als wäre er ein Mensch, das ist völlig, völlig falsch. Wir müssen mit dem Hund umgehen, als wäre er ein Wolf und wir wären ein Teil eines Wolfsrudels. Nur dann können wir dem Hund gerecht werden. Und damit nicht nur dem Hund gerecht werden, sondern auch unsere Bedürfnisse nach einer guten Beziehung mit unserem Hund und den Bedürfnissen der Gesellschaft nach einer friedfertigen und ausgeglichenen Beziehung zwischen Mensch und Hund. Und da liegt halt sehr viel im Argen, die einen wollen den Hund wie ein Klappmesser runterdrücken und beherrschen und die anderen wollen ein Kind- oder Partnerersatz haben. Beides ist völlig falsch. Das verkennt das Wesen des Hundes. Der Hund ist im Kern seiner Seele noch ein Wolf geblieben.

Wie funktioniert eine Meute?

Also eine Jagdmeute, wie wir sie z.B. bei den Foxhounds in England haben, die funktioniert nicht viel anders als in einem Wolfrudel. Nur mit dem einen Unterschied, dass Hunde für einen speziellen Zweck gezüchtet worden sind, wie z.B. für die Fuchsjagd. Und sie interessieren sich dann überhaupt nicht mehr dafür, wenn da ein Fasan hochspringt oder da ein Hirsch wegläuft. Dann haben sie auch dafür kein Interesse, sie haben nur eines im Kopf, diesem Fuchs nachzugehen. Aber das tun sich, so wie Wölfe häufig auch, in ihrem Rudel alles nachgehen, also da ist noch viel Wölfisches noch übrig geblieben.

Glauben Sie, dass in der Stadt gehaltene Hunde unglücklich sind?

Also, es ist sehr schwierig, was jetzt Glück ist bei einem Hund? Was ist Leiden im Tierreich? Wir können nicht das nachfragen. Wir können nicht fragen: Bist Du glücklich Josha oder Lilli? Lilli! Wo bist Du denn? Die ist schon abgehauen...Nein, das können wir nicht nachfragen. Was wir machen können, ist zu beobachten, was tut ein normaler Hund im Laufe von 24 Stunden? Dann stellen wir fest, dass ein normaler Hund mit anderen Hunden spielt, mit Herrchen, Frauchen unterwegs ist, nachts mit anderen Hunden zusammen schlafen würde, wenn er das könnte, dass er frisst, dass er ein bisschen jagt, herumstöbert, alles dass, muss dann auch ein glücklicher Hund haben. Und wenn wir das einem Hund nicht bieten können, wenn wir einen Hund allein halten.


Ich halte, das Halten von einem Hund allein für Tierquälerei, weil es entspricht nicht dem Wesen des Hundes, dass so ein soziales Wesen ist, allein zu leben, nachts allein zu sein. Die meisten müssen ja, Gott sei Dank, nachts allein sein, die gehören nicht ins Bett, weil dort entwickeln sie dann ganz andere Marotten und Verhaltensweisen, die für die Beziehung zwischen Mensch und Hund nicht in Ordnung ist. Aber weil sie nicht dort hinein gehören, müssen sie den Ersatz haben, andere Hunde zu haben. Wir gehen voll und ganz von unseren eigenen Bedürfnissen aus, wir denken wir Menschen sind voller Ersatzsozialpartner für den Hund und das ist völlig falsch. Der Hund braucht uns Menschen, ganz zweifellos, als eine Form von Sozialpartnerschaft, aber er braucht auch andere Hunde als eine andere Form von Sozialpartnerschaft. Und deswegen plädiere ich vehement dafür, wenn man schon einen Hund kann und dafür gibt eine Voraussetzung, man muss viel mit dem Hund unterwegs sein, man muss ihm viel Auslauf bieten, man muss ihm viel Sozialkontakt auch mit fremden Hunden bieten können. Wenn ich das aber kann und all das beherrsche, dann sollte ich mir einen zweiten Hund unabdingbar zulegen. Ich glaube, das ist notwendig, aber das setzt eben voraus, dass ich schon mit einem fertig werden kann. Leider ist das heute in unserer Gesellschaft eher der seltene Fall, das Menschen mit dem Hund richtig umgehen können. So leicht es ist mit einem Hund, die machen es uns so einfach. Wir machen uns verrückt mit unseren vielen Gedanken und Überlegungen. Im Grunde ist diese Partnerschaft zwischen Mensch und Hund eine sehr simple. Wir müssen nur uns auf den Hund einstellen und nicht erwarten, dass sich der Hund auf uns als Mensch einstellt.

Was halten sie von der Zucht spezieller Rassen? Wo liegt der Sinn/Unsinn der Züchtung durch den Menschen?

Also ich war vor kurzem in Dortmund auf der Hundeausstellung und es ist einfach widerwärtig und unerträglich, was aus dieser tollen Erbschaft des Hundes, was wir da für einen Popanz mit dem Hund machen. Schauen sie mal Hunde an, die sind so riesengroß, dass sie aus allen Rahmen sich sprengen und innerhalb von wenigen Jahren wieder sterben werden. Wir züchten absichtlich Hunde, die nicht einmal die Hälfte der Lebenserwartung eines normalen Hundes von etwa 15 Jahren, erlangen. Bei den Doggen oder bei den Irischen Wolfhunden.


Wir züchten Hunde, die so klein sind, Miniaturform, dass sie gar nicht mehr laufen können, gar nicht mehr schnaufen können, wir züchten Hunde, die keine Schnauze mehr haben, die nicht mehr Luft hinein bekommen, die ihr Leben lang nach Luft ringen müssen und das wird alles stolz präsentiert und prämiert. Und das ist einfach unerträglich, was wir mit den Hunden machen. Hunde, die nicht ihre Augen zumachen können, weil die Augen zu groß geworden sind oder denen die Augen immer wieder aus den Augenhöhlen rausfallen. Wo sind wir denn? Hunde, die nicht mehr gebären können, Hunde die nicht mehr ihre Welpen zeugen können, nicht mehr ihre Welpen aufziehen können.

Es ist wirklich verheerend und es ist wirklich eine Frage mit der Zeit, ob es nicht nur eine Frage des Tierschutzes ist, der Tierschutz hat in diesem Fall völlig versagt. Sie kümmern sich darum, ob Hunden der Schwanz kupiert werden darf oder nicht. Ich finde es richtig, sie dürfen es nicht. Es ist idiotisch einem Hund den Schwanz zu kupieren oder die Ohren hochzustellen. Aber es ist eine Lächerlichkeit im Vergleich dazu, was wir etwa bei Möpsen, bei Pekinesen, bei Englischen Bulldoggen, Irischen Wolfshunden oder bei Chihuahuas heute erleben. Das ist ein Skandal, eine Schande für unsere Kultur.

Text: Dogsworld: Interview mit dem Wolfsforscher Erik Zimen im Bayerischen Wald