Das Erbe der wölfischen Vorfahren
Es sind mehrere tausend Jahre vergangen, seit Mensch und Wolf zu Partnern geworden sind. Im Lauf der Domestikation wurden sie zu Jagdgefährten und schließlich zu Freunden. Doch wie viel Wolf
steckt noch im Hund? Wir kennen zahllose Märchen von Rotkäppchen bis zu Grusel-Geschichten über Werwölfe. Immer wieder wird das Image des bösen Wolfs von neuem beschworen. Die Wahrheit sieht
natürlich anders aus.
Die Familie als Rudel
Man kann ein Wolfsrudel als Gemeinschaft mit strengen Regeln beschreiben. Das Rudel wird von einem einzigen dominanten Paar geführt, dem Alpha-Männchen und dem Alpha-Weibchen. Die Rangordnung
setzt sich in absteigender Hierarchie fort, je nach Alter und Erfahrung. Rangeleien um die Position sind an der Tagesordnung, doch innerhalb des Rudels fügen sich die Wölfe keine ernsthaften
Verletzungen zu. Obwohl jedes Tier im Rang aufsteigen will, findet es sich mit seiner gegenwärtigen Stellung ab. Theoretisch bilden Hundebesitzer mit ihren Familien und dem Hund ebenfalls ein
Rudel, in dem einer die Rolle des Alpha-Tiers übernimmt. Ein Familienmitglied kontrolliert das Futter des Hundes genauso, wie in der Wildnis der Anführer des Rudels den Zugang zum geschlagenen
Beutetier überwacht.
Zuneigung und Furcht
Da wir Rudelführer sind, gehorchen uns unsere Hunde in der Regel. Wir glauben, sie sehnen sich nach unserer Zuneigung. In Wahrheit zeigen sie, dass sie sich unterwerfen. Einige Hunde tun das
immer wieder. Sie rollen sich auf den Rücken, wie in der Wildnis der unterlegene Wolf einem dominanten Tier bewusst seinen empfindlichen Bauch präsentiert. Er gibt damit vor, ein Welpe zu sein,
und ruft bei dem anderen Tier anstelle von Aggression den Beschützertrieb hervor. Wir glauben gerne an die bedingungslose Liebe unserer Hunde, aber in Wahrheit ist diese Liebe oft mit einer Spur
Furcht vermischt.
Von der Beutejagd zum Stöckchen holen
Auch das Apportieren der Beute führt auf eine Eigenschaft der wölfischen Vorfahren zurück: Der Wolf tötet, verschlingt einen Teil seiner Beute und bringt den Rest zu seinem Rudel. Das ranghöchste
Tier zerteilt die Beute und gibt sie weiter an die rangniedrigeren oder schwachen Tiere. Das Verhalten der Wölfe erklärt, warum Hunde so gerne Stöcke apportieren. Es ist, als wollten auch sie uns
wie einen Teil des Rudels versorgen. Die Wölfin versorgt so ihre Jungen, der Hund den Jäger.
Hüter der Schafe
Auch Schafhirten nutzen eine Eigenschaft des Wolfes zu ihrem Vorteil. Wenn Hirtenhunde Schafe umrunden, tun sie das nicht anders als ihre Vorfahren, die Wölfe. Die Art und Weise, wie sie die
Schafe im Auge behalten, wie sie die Schafe orten, sich anpirschen und die Tiere zusammentreiben, all das sind von Wölfen ererbte Verhaltensweisen. Über Tausende von Generationen hinweg haben
Schäfer diese Eigenschaften durch Zucht gefestigt. Am deutlichsten zeigt sich das Wolfserbe in der Art und Weise, wie die Hunde die Herde umlaufen. Auf jeder Seite macht ein Hund einen so großen
Bogen, dass die Schafe zum Teil aus seinem Blickfeld geraten. Damit kommen sie unbemerkt näher heran, ohne die Schafe aufzuschrecken und eine lange Hetzjagd zu vermeiden. Die gezielte Kooperation
der Hunde beim Einkreisen der Herde ist nichts anderes als die erfolgreiche Jagdtechnik der Wölfe.
Viele Eigenschaften unserer vierbeinigen Freunde wie das Apportieren oder Bewachen führen zurück zu ihren wölfischen Vorfahren. Dabei ist beachtlich, was Züchtung leisten kann: Bestimmte
Wolfsverhaltensmuster werden verstärkt, das Angriffs- und Tötungsverhalten dagegen unterdrückt.
BBC Doku: Waldis wilde Wurzeln